Warum Shit manchmal Gold wert ist: Die 2 Phasen erfolgreichen Schreibens

„Blöd.“ „Langweilig.“ „Interessiert doch eh keinen!“ „Wer soll das lesen?“ „Wolltest wohl mal wieder besonders originell sein, was?“

Wer kennt sie nicht, die inneren Stimmen, die sofort zur Stelle sind, sobald man sich hinsetzt und an seinem Buch schreiben will, einem Blogbeitrag, einer Präsentation oder einem Vortrag. Der innere Kritiker oder „Schreibe-Hund“ ist manchmal schneller als der erste Satz! Er würgt ihn ab, beißt ihm in den Hals, schüttelt ihn noch ein paarmal – dann sinkt der Satz zu Boden. Und das war’s. Passiert das ein paarmal zu oft, sinkt auch unser Stift aufs Papier oder die Hand auf die Tastatur. Wir stehen auf und machen was anderes. Bloß nicht schreiben.

Viele von uns wissen um dieses Phänomen der scharfen, inneren Zensur. Wir sind in der Lage, verdammt hart mit uns ins Gericht zu gehen und jegliches Nonkonforme, Andersdenkende und Kreative sofort auszulöschen. Mentales Mittelalter. Wir sind noch nicht darüber hinweg.

Da hilft nur eines: Das Schreiben selbst in 2 Phasen zu unterteilen.

Phase 1: der „shitty first draft“, wie ihn Anne Lamott nennt. Der wilde, mutige, schöpferische und manchmal wirklich schlechte erste Entwurf. Er kann wahre Nuggets hervorbringen, wenn wir uns trauen, einfach draufloszuschreiben.

Phase 2: der Feinschliff. Der Moment, an dem die Zensoren mit Fanfarenklängen Einzug halten dürfen. Jetzt wird gemetzelt, gesäbelt, vernichtet. Aber erst jetzt!

 

Warum solltest du das Schreiben in 2 Phasen unterteilen?

Weil sich sonst 2 starke Kräfte in dir bekriegen: das Wilde, Unzähmbare, Kreative, Schöpferische. Und die messerscharfe, brillante, analysierende, strukturierende, fehlersuchende, i-tüpfel-scheißernde Ratio.

Intuition und Verstand. Beide sind wichtig. Nur sollten beide nie zusammen mit dir am Schreibtisch sitzen. Denn dann kommst du keinen Satz weiter!

Mein Tipp: Unterteile deinen Schreibprozess in diese beiden Phasen. Erlaube dir eine Phase des ersten Entwurfs, der so shitty sein darf, wie er will (ist er meist gar nicht). Schreibe diesen ersten Entwurf so schnell wie möglich, damit der Verstand und sämtliche inneren Kritiker (die aus uns selbst stammen, aus unserem Umfeld, aus früheren unguten Erlebnissen in der Schule oder anderswo) gar nicht hinterherkommen. Lass den ersten Entwurf aus dir heraussprudeln, als gäbe es kein Morgen. Halte dich nicht an einzelnen Formulierungen fest. Frage dich nicht, ob es gut ist, was du da tust. Schreib!

Erinnerst du dich an den Steinmetz aus dem letzten Kapitel?

Was macht ein Steinmetz? Er behaut einen Stein, um zum Beispiel eine wunderschöne Figur zu schaffen. Auch der Steinmetz arbeitet erst in groben Zügen. Er schafft einen Umriss, eine Ahnung von der Figur, die später aus dem Stein werden soll. Er feilt nicht an einem einzigen Auge, sonst hätte er nach einer Weile eine grobe Masse Stein, aus der ein perfektes Auge herausschaut. Das wollen wir nicht!

Der Steinmetz arbeitet in Phasen. Erst grob, dann fein, dann noch feiner.

Der shitty first draft wird mit dem Herzen geschrieben. Der Feinschliff mit Sinn und Verstand.

 

Beim Feilen ist dein Verstand großartig und gefragt, da ist sein Platz. Er darf nur nicht von Anfang an mitspielen, denn dann verdirbt er dir den Spaß und dein Buch.

Viki King, US-amerikanische Drehbuchautorin, hat einmal gesagt: „Die erste Fassung schreiben wir, um zu verstehen, worüber das Buch überhaupt geht.“

Ich stimme ihr zu. Unser Thema und unsere Inhalte kennen wir ja meistens bereits. Wenn wir den ersten, wilden Entwurf aus dem Herzen schreiben, dann machen wir unterwegs ungeahnte Entdeckungen. Wir erleben Überraschungen, es kommen neue Ideen hinzu, eine neue Tiefe ins Skript, die vorher nicht da war. Manchmal erfinden wir uns selbst noch einmal ganz neu. Das passiert allerdings nur dem, der aus dem Herzen heraus schreibt und sich so richtig gehen lässt.

Mein zweiter Tipp heute, wenn dein innerer Schreibe-Hund mal wieder so übermächtig ist, dass du gar nicht an dein Herz rankommst: Erkenne ihn an. Wegdrücken hilft eh nicht! Erkenne ihn, wenn er wieder auftaucht: „Ah, grüß dich, da bist du ja wieder!“ Tätschle ihm den breiten Kopf und dann gib ihm einen Platz in seinem Körbchen. Oder gib ihm deine Kreditkarte und lass ihn eine Runde Gassi und dabei shoppen gehen. Und dann lade deine Intuition ein und mach deine inneren Kanäle alle weit auf. Sage dir: „Das, was ich jetzt gleich mache, muss überhaupt nicht den Ansprüchen genügen, die ich sonst an mich habe.“

 

Warum könnte es noch hilfreich sein, dein Schreiben in 2 Phasen zu unterteilen?

Ganz einfach: Du schreibst dein Buch fertig, nicht nur das erste Kapitel. Wer schon während des Schreibens anfängt zu korrigieren und zu verbessern, hängt sich auf. Beißt sich fest an einzelnen Wörtern und Sätzen und das kostet wahnsinnig viel Energie. Meist bleibt man dabei stecken.

Daher, auch wenn es ungewohnt ist, weil wir alle daran gewöhnt und darauf trainiert sind, möglichst druckreif und fehlerfrei zu schreiben: Schreib weiter. Korrigiere nicht! Wenn du nicht weißt, was an dieser Stelle im Buch kommt oder wenn dir noch Daten, Zahlen, Fakten fehlen, mach dir einen Vermerk an dieser Stelle, hinterlege ihn mit einer Farbe und schreib weiter. „Ich muss erst noch recherchieren“ ist oft eine Ausrede! Das, was du wirklich sagen willst, ist längst schon in dir. Es ist aber oft auch das, was uns das größte Herzklopfen macht.

Recherchiere nachts, wenn du es unbedingt für nötig hältst, dann, wenn du zu nichts anderem mehr Energie hast. Den Rest deiner wertvollen Zeit – schreib.

Essenz: Den Schreibprozess in 2 Phasen zu unterteilen hilft dir, dein Buch fertigzuschreiben. Es erlaubt dem Schöpferischen in dir, voll zur Entfaltung zu kommen. Es passt auf, dass du nicht in perfektionistischen Korrekturschleifen hängen bleibst (Achtung: Ein-Auge-im-Stein-Effekt!). Und es sorgt dafür, dass dein Herz und dein Verstand Raum haben. Einer nach dem anderen. Schön der Reihe nach.

Übrigens: Wer zeichnen kann, kann seinen inneren Kritikern ein Gesicht geben. Da kommt eine hübsche Inquisitionsparade bei raus – schöner und doller als Fasching und Karneval zusammen. Helau und Alaaf!

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