Das eigene Buch starten: Vom Vollgas im Nebel und brennenden Hütten

Ich hatte mal eine Kursteilnehmerin, die wunderschöne Haiku-Gedichte schrieb. Sie sagte: „Ich muss immer erst putzen, bevor ich schreibe. Wenn mein Mann abends von der Arbeit nach Hause kommt und sieht, wie das Waschbecken im Bad aussieht – das geht nicht. Ich muss erst putzen, dann schreibe ich.“ Immerhin schrieb sie! Und genau darum geht es.

Die Anzahl an „Prokrastinationsoptionen“ ist riesig, wenn es darum geht, dass wir endlich unser Buch starten. Der Kühlschrank ist leer. Der Rasen wuchert wild. Die Steuer-Formulare knurren uns seit Wochen an … Und alle haben ihre Berechtigung. Nur, wenn wir allen nachgeben, dann haben wir am Ende ein sauberes Bad (die Experten in Aufschieberitis sogar ein komplett sauberes Haus), einen prall gefüllten Kühlschrank, einen vorbildlich gepflegten Rasen, einen glücklichen Finanzbeamten … Aber kein Buch.

Mein Tipp: Hol dir Unterstützung. Es gibt Menschen, die dir dabei helfen, 2 bis 3 freie Stunden für dein Buch zu haben. Und sei es einmal pro Woche. An die Frauen unter uns: Engagiere eine Haushaltshilfe, bezahle eine Kinderbetreuung oder tausche mit einer guten Freundin: „Du diese Woche meine Kinder, ich nächste Woche deine.“ Bitte deinen Partner, deine Partnerin, ein paarmal hintereinander den Einkauf zu machen und zu kochen, und revanchiere dich, wenn dein Buch fertig ist … Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten. Nutze sie und probiere Dinge aus, die du noch nie getan hast. Denn sonst wirst du niemals schreiben.

Was machst du, wenn du keine Unterstützung seitens deines Partners, deiner Partnerin oder deiner Kinder hast? Schreib trotzdem. Anne Lamott, US-amerikanische Autorin, sagt in einem ihrer Bücher, dass sie sich in ihr Zimmer zurückzog und die Tür hinter sich abschloss, um zu schreiben. Ihre Kinder schrien laut und klopften an die Tür, sie solle herauskommen. Sie tat es nicht. Die Kinder brüllten noch lauter und riefen, sie würden das Haus anzünden. Sie kam trotzdem nicht raus. Sondern schrieb.

Ich persönlich habe mir angewöhnt, nicht so ein großes „Ding“ aus dem Start eines neuen Buches zu machen. Den Akt des Schreibens nicht auf einen wahnsinnig hohen Sockel zu stellen. Nicht auf „den“ Tag zu warten. Nicht dreimal um den Tisch herumzutanzen oder erst die Wohnung zu räuchern. Ja – es soll am Ende ein supertolles Werk dabei herauskommen.

Doch dazu ist es nötig, dass erst mal eine Rohfassung steht. Ein grober Klotz im Hof des Steinmetzes. Kein Steinmetz hat gleich eine fertige Skulptur vorzuweisen – er fängt mit dem groben Behauen eines noch sehr unförmigen Steines an. Dazu muss er ein Werkzeug in die Hand nehmen und loslegen. So wie wir uns hinsetzen und losschreiben.

Das Phänomenale ist: Haben wir erst mal 2 bis 3 Seiten geschrieben, ist der Start schon geschafft! Die Last des ersten Worts, des weißen Blatts, fällt von unseren Schultern. Der Rest ist verhältnismäßig leicht. Und dein Buch ist sowieso schon „da“, es ist schon längst in dir – es muss nur noch zu Papier gebracht werden. Also – kein großes Ding. Hinsetzen. Sitzen bleiben. Sitzen bleiben. Schreiben.

Kommen wir jetzt zum eigentlichen Start. Wie fange ich denn so ein Buch am besten an?, fragen mich viele meiner Kursteilnehmer. Brauche ich einen Plan? Oder schreibe ich einfach drauflos?

Wie immer führen viele Wege nach Rom. Die einen Autoren sind eher „Kamikaze-Schreiber“. Sie setzen sich, bildlich gesprochen, ans Steuer ihres Wagens, mitten in der Nacht, ohne Navi, und fahren einfach los. Vollgas rein in den Nebel. Sie sehen kaum die Hand vor Augen bzw. vor der Windschutzscheibe – doch sie wissen: Irgendwo da vorne geht es lang.

Die andere Sorte Autoren braucht eher Struktur. Eine Leitlinie. Einen Plan. Sie müssen wissen: Was passiert im Vorwort? Was in Kapitel 1, 2, 3 … Was schreibe ich ins Schlusswort? Wer muss alles in den Dank?

Beide Wege sind richtig. Ich selbst wähle meist den Weg durch die Mitte: Ich erstelle mir eine grobe Struktur und dann muss ich erst mal losschreiben. Denn das Buch hat sowieso schon Wochen und Monate darauf gewartet, dass ich mich endlich hinsetze. Es scharrt ungeduldig mit den Hufen wie ein Rennpferd, das endlich aus der Box rauswill und rein ins Rennen. Dieses wilde Pferd darf ich nicht „einkasteln“, ihm sämtliche Luft zum Atmen nehmen durch Kapitelpläne und Co. Fantasie braucht auch Freiheit. Und gleichzeitig Führung.

Auch diese Mischform gibt es daher und sie funktioniert genauso gut wie die beiden anderen. Im Sommer 2008 schrieb ich ein Jugendbuch in erster Fassung innerhalb von 17 Tagen, weil ich gerade auf ein großes Projekt wartete, das jeden Tag losgehen sollte. Eine innere Stimme sagte zu mir: „Setz dich hin und schreib. Du kannst jetzt eh nichts anderes machen als zu warten. Das Projekt, das jeden Moment starten soll, ist so groß und umfangreich, dass du nichts anderes mehr für die Zwischenzeit akquirieren kannst. Setz dich hin und schreib.“ Und das tat ich. Auf diese Weise hatte ich nach den 17 Tagen mein erstes Jugendbuch in Händen (in einer Roh-Rohfassung), dem viele weitere Bücher folgen sollten. Das große Projekt übrigens ging nie los. Es löste sich in Luft auf.

Ich weiß nicht, wie mein Start als Autorin verlaufen wäre, wenn ich dieses eine Zeitfenster damals nicht genutzt hätte, wenn ich nicht auf meine innere Stimme gehört hätte. (Und noch wegen einer anderen Sache war dieser Moment wichtig für mich, ich komme in einem späteren Kapitel darauf zurück.) Wartezeiten zwischen Projekten oder auch andere Zeiten der Unsicherheit und der „Luft dazwischen“ sind oft die besten Schreib-Zeiten. Auch Wartezeiten beim Arzt, am Bahnhof, auf dem Flughafen …

Warum ist es noch wichtig, möglichst schnell mit dem eigenen Buch zu starten?

Weil es sonst jemand anderes schreibt. Ideen liegen in der Luft! Themen liegen in der Luft. Elizabeth Gilbert, Autorin von „Eat, Pray, Love“ und „Big Magic“, kann davon erzählen, wie eine Romanidee sie nach einer Weile verlassen hat und auf eine andere Autorin übergegangen ist. Die beiden Damen konnten es kaum glauben, als sie sich einmal trafen, dass die eine fast zu 100 Prozent deckungsgleich die Idee der anderen schrieb. Wie kam es dazu? Weil Elizabeth Gilbert sich nicht hingesetzt und das Buch geschrieben hatte. Es kann jedem von uns passieren. Und dann ärgern wir uns und sagen: „Menno, das Buch wollte eigentlich ICH schreiben!“ Dann tu es. Und nutze jede Minute, die du am Tag auftreiben kannst.

Essenz: Mach kein großes Ding aus dem Start deines Buches. Fang einfach an. Setz dich hin und schreibe 2 oder 3 Seiten. Nur, um zu starten. Finde heraus, ob du eher der Vollgas-im-Nebel-Typ bist oder ob du die Sicherheit von Strukturen liebst. Hol dir Unterstützung, um dir Zeit zum Schreiben zu verschaffen. Tausche Zeit mit Freunden. Lass das Bad Bad sein (und die Sorgen Sorgen). Staub auf Fernsehern und Fensterbänken hat es eh an sich, dass er schon morgen wieder fällt (ist es eigentlich immer der gleiche?). Mach dich lieber aus dem Staub – und setz dich an dein Buch.

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